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Religion bei der UNO: von Geschlechtergerechtigkeit bis zum Schutz der Umwelt – wie Glaubensgemeinschaften nachhaltigen Wandel herbeiführen
Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen (UNO) analysieren die Mitglieder des Multireligiösen Beirats der UN (Multi-faith Advisory Council - MFAC) die Rolle von Religion und religiöser Arbeit bei der Förderung globaler Entwicklungsziele und des internationalen Friedens und der Sicherheit. Der MFAC wird auch eine Online-Konferenz abhalten. Deren Titel lautet „Glaube an die UNO: Zu Ehren des 75. Jahrestags der Vereinten Nationen und ein Blick in die Zukunft“. Sie wird am 8. September um 8.00 Uhr (EST) abgehalten und der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Als Prof. Azza Karam während ihrer Zeit bei der UNO versuchte, die „Organisationsübergreifende Arbeitsgruppe zu Religion und nachhaltiger Entwicklung“ (Interagency Task Force on Religion and Sustainable Development - IATF) zu gründen, stieß sie oft auf Herausforderungen, die den Anschein hatten zur DNA der Organisation zu gehören.
„Die UNO soll die universelle Kultur schlechthin sein, man soll durch die Tür treten und kein Land, keine Religion haben und allen zu Diensten sein“, meint sie.
Karam respektierte diesen Altruismus und bewunderte die umfassenden Menschenrechtsprinzipien, die die UNO zu dem machen, was sie ist. Dennoch fühlte sie, dass etwas fehlte - das Herz. Sie fragte sich: „Wie kann man allen dienen, wenn man nicht versteht, was die Herzen der Menschen berührt - ihr Glauben?“
Angetrieben von dem Wunsch, dass Glaubenspersönlichkeiten stärker in die UNO eingebunden werden, arbeitete sie mit Gleichgesinnten zusammen, um im Jahr 2010 die UN IATF zu gründen. Heute umfasst diese mehr als 20 UN-Organisationen und konzentriert sich auf gemeinsame Ziele mit wichtigen Partnerorganisationen in der Welt des Glaubens.
Multireligiöser Beirat
Im Jahr 2018 richtete die UN IATF den „Multireligiösen Beirat“ (MFAC) ein, um in den wichtigen Bereichen des UN-Mandats zu beraten. Dazu zählen Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Umweltschutz und Friedensförderung. KAICIID ist die einzige zwischenstaatliche Organisation, die Mitglied des MFAC ist und hatte von 2018 bis 2019 den Co-Vorsitz des Rates inne.
Rabbiner Burton Visotzky, Appleman Professor für Midrasch und Interreligiöse Studien am Jewish Theological Seminary in New York City, war bereits für den UN-Untergeneralsekretär für die Verhütung von Völkermord tätig und wurde zusammen mit anderen religiösen Führerinnen und Führern von der IATF so oft konsultiert, dass er sich selbst als „Der Jude der UN“ betrachtet.
Zusammen mit anderen „religiösen Freundinnen und Freunden der UNO“ stand er dem MFAC zur Verfügung, als dieser gegründet wurde.
Obwohl der MFAC noch in den Kinderschuhen stecke, habe er sich bereits in der UNO bemerkbar gemacht, meint Visotzky. „Nachdem die UNO die Religion entdeckt hat, hat sie auf der Grundlage dieses Wissens gehandelt und ist sehr daran interessiert, mit uns in vielfältiger Weise zusammenzuarbeiten.“
Visotzky erklärt, der Wunsch entspringe der praktischen Erfahrung der UN-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Wann immer UN-Agenturen an einen Krisenherd kommen oder wenn es an einem Ort große Armut gäbe, wen würden sie dort bereits bei der Arbeit vorfinden? Religiöse Akteurinnen und Akteure. Sie sind diejenigen, die mit Entwicklungsorganisationen zusammenarbeiten, um die Menschen aus der Armut zu befreien und Frieden zu schaffen“, so der Rabbi.
Seither beraten sich Organisationen wie die Buddhistische Stiftung Tzu Chi oder das Projekt Bhumi am Oxford Center for Hindu Studies mit der UNO. Sie wollen herausfinden, wie Religionsgemeinschaften ihre Arbeit effektiver gestalten können und wie die UNO besser mit Religionsgemeinschaften zusammenarbeiten kann, um die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) zu erreichen.
Karam ist nun Generalsekretärin von „Religionen für den Frieden“ (RfP). Sie sieht religiöse Akteurinnen und Akteure als einen zentralen Bestandteil bei der Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung und der Thematisierung von humanitären Fragen. „Religion spielt in der Arbeit der UNO eine wichtige Rolle. Sie ist das Zentrum von allem, was wir glauben tun zu können, um die Völker der Welt zu befrieden“, sagt sie.
Bani Dugal ist die Hauptbeauftragte der Internationalen Baha'i-Gemeinschaft bei der UNO und Co-Vorsitzende des MFAC. Auch wenn „Glaube bei der UNO“ manchen als eine seltsame Verbindung erscheinen mag, sieht Dugal darin eine ideale Beziehung. Schließlich würden sich 84 Prozent der Weltbevölkerung mit einer religiösen Gruppe identifizieren. „Es ist nur eine natürliche Sache, dies zu verbinden“, meint sie.
Vielfalt der Weltreligionen
Dugal kennt die UNO gut, da sie seit dem Jahr 1994 als Teil internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei der UNO tätig ist. Sie meint, dass die UNO zwar ihre Probleme habe, aber „sie ist der Ort, an dem die Regierungen der Welt zu Beratungen zusammenkommen und nun findet dort auch die Vielfalt der Weltreligionen zusammen“.
Dugal sieht kein Hindernis in den verschiedenen Glaubensrichtungen, die mit dem MFAC zu tun haben. Im Gegenteil: sie würden „Menschen auf allen Ebenen inspirieren, ein besseres Selbst zu werden und das zu tun, was das Beste für die Menschheit ist“.
Jack Palmer-White, der Ständige Vertreter der Anglikanischen Gemeinschaft bei der UNO, nannte dies die „prophetische Führung“ des MFAC.
„Wir sind in der Lage, Menschen an der Basis zu motivieren, sich an der Verwirklichung der SDGs zu beteiligen. Das ist, was den MFAC am effektivsten macht. Der Beirat ist in der Lage, die Veränderungen zu beschleunigen, die wir in der Welt sehen wollen“, erzählt er.
Dugal berichtete, wie der MFAC die UNO bei der Durchführung von Impfkampagnen (SDG#3, „Gute Gesundheit und Wohlbefinden“) an Orten wie Indien unterstützen konnte, wo Glaubensgemeinschaften mitunter durchaus skeptisch waren.
Palmer-White erzählte von den Kofi-Annan-Glaubenstreffen – einer Konferenz, die gemeinsam mit dem MFAC organisiert wird. Dort hat Reverend Julio Murray, Erzbischof der Anglikanischen Kirche von Zentralamerika, mehrere religiöse Partnerorganisationen kennengelernt, die seine Arbeit zu Jugendrechten noch immer prägen (SDG#4, „Hochwertige Bildung“).
„Während diese Art von Kooperationen auch ad hoc entstehen können, geschehen sie viel leichter unter der Ägide des MFAC“, so Palmer-White.
In Bezug auf SDG#16 („Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“) berichtet Dugal: „Die UNO versteht, dass wir diejenigen sind, die die Herzen erreichen und tief in die Gemeinschaften vordringen können, um den Wandel herbeizuführen, der erforderlich ist, um Frieden zu erlangen.“
„Die UNO hat sich mehr und mehr auf den Multireligiösen Beirat verlassen, um in diesen Fragen mehrere Stimmen zu vereinen und ihre Reichweite auszudehnen“, fährt sie fort. Dennoch steht der MFAC vor Herausforderungen. Die größte davon ist die Frage, ob glaubensbasierte und vom Glauben inspirierte Gruppen konsultiert werden sollten, wo sie doch so oft die Ursache für Spaltung und Zwietracht sind.
Aus diesem Grund, so Visotzky, „hielt die UNO die Religion auf Abstand“. Die entsprechenden religiösen Organisationen taten dasselbe mit der UNO.
Vertrauensbildung als Hauptaufgabe
Deshalb betonte Palmer-White, dass die Vertrauensbildung eine der Hauptaufgaben des MFAC sei. „Wandel ist nicht nur ein plötzlicher Schwenk in der Vorgehensweise, sondern es geht darum, langfristig Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu schaffen.“
Seit der Gründung des MFAC, so Palmer-White, habe es bei der UNO einen deutlichen Wandel in Bezug auf die religiöse Arbeit gegeben. Mehr und mehr lernen die UN-Agenturen sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass religiöse Akteurinnen und Akteure einen guten Einblick in Themen vor Ort geben können und oft Zugang zu Orten haben, die die Vereinten Nationen nur schwer erreichen können.
Dies erfordert auch, dass die Arbeit der UNO wieder in die Religionsgemeinschaften rücktransferiert wird. „Dieser Weg führt in beide Richtungen“, meint Palmer-White. „Die UNO baut bessere Beziehungen zu Religionsgemeinschaften auf und Religionsgemeinschaften entwickeln eine bessere Beziehung zur UNO.“
Dies wiederum schaffe die Möglichkeit, dass mehr Stimmen gehört werden, mehr Kooperationen entstehen und bessere, nachhaltigere Arbeit geleistet wird.
Mit Blick auf die Arbeit der UN IATF und des MFAC in der Zukunft fügt Visotzky hinzu: „Es wird immer religiöse Gruppen geben, die nicht mit anderen zusammenarbeiten wollen. Aber wir alle teilen eine enorme Bandbreite an Vorstellungen und Werten, wie man die Welt verbessern und sie vereinen kann.“
Visotzky schließt: „Je besser wir auf die Verwirklichung dieser gemeinsamen Welt hinarbeiten, desto besser wird es uns allen ergehen.“