Wie oft hören wir wirklich zu?
In Gesprächen über Dialog drehen sich unsere Gedanken in der Regel darum, was gesagt wird, welche Argumente vorgebracht werden und welche Positionen diskutiert werden. Doch das Wesentliche eines echten Dialogs liegt nicht im Sprechen, sondern im Zuhören. Es geht um das Schaffen eines Raums für den anderen, in dem das Platz findet, was für die Person wichtig ist. Es erfordert "ehrliches Bemühen", die Welt aus ihrer Perspektive zu verstehen, mit einem einfühlsamen Blick für den anderen.
Unter diesem Motto fand am 8. Oktober auf der Warsaw Human Dimension Conference die Veranstaltung Junge Stimmen der Hoffnung in Zeiten der Spaltung statt, die unter dem maltesischen OSZE-Vorsitz 2024 und mit Unterstützung des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte organisiert wurde.
In diesem bedeutenden Forum für Menschenrechte in Europa hat KAICIID zwei junge Führungspersönlichkeiten vorgestellt. Der Jude und die Muslimin, beide Mitte zwanzig, wurden an derselben Universität in Medizin ausgebildet. Diese jungen Führungskräfte - ein Mann und eine Frau - stellen sich täglich der Herausforderung, Menschen auf dem heiklen Weg zwischen Leben und Tod zu begleiten. Gemeinsam leiten sie eine Initiative zur Verbesserung der religiösen Kompetenz von medizinischem Fachpersonal in Mailand. Das Ziel ist es, die Betreuung der lokalen religiösen Minderheiten zu verbessern. Sie stellen sich dieser anspruchsvollen Aufgabe mit der Kraft ihres Glaubens, vereint durch die gemeinsame Mission, die Menschenwürde zu wahren, Empathie zu zeigen und die Einzigartigkeit jedes Menschen mit einer spirituellen Perspektive zu betrachten.
Amina Croce, die die Jugendabteilung der italienischen muslimischen Gemeinschaft COREIS leitet, und David Fiorentini, politischer Referent bei der italienischen Union jüdischer Studierender und junger Berufstätiger (UGEI), nahmen uns mit auf eine Reise durch ihr gemeinsames Engagement für die Schaffung eines gemeinsamen Raums. In diesem interreligiösen Raum arbeiten sie nicht trotz, sondern wegen ihrer muslimischen und jüdischen Identität zusammen. In einer Zeit, in der die Religion im Mittelpunkt von Zerrissenheit und Spaltung zu stehen scheint, fand ihre hoffnungsvolle Botschaft großen Anklang im Plenarsaal der OSZE-Konferenz. Dort diskutieren die 57 Botschafterinnen und Botschafter der OSZE- Mitgliedstaaten seit 1992 über Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung von Minderheiten und Religions- und Glaubensfreiheit.
Die jungen jüdischen und muslimischen Persönlichkeiten überbrachten ihre Botschaften der Versöhnung nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil des Botschafter-Programms des Muslim-Jewish Leadership Council (MJLC). Die von KAICIID unterstützte Plattform dient der Vertrauensbildung und vereint 23 Imame und 23 Rabbiner in Europa. Zusammen mit dem Botschafter-Programm zielt diese Initiative darauf ab, Vorurteile abzubauen, gemeinsam die Stimme gegen Antisemitismus und antimuslimischen Hass zu erheben und das gemeinsame Engagement für eine auf Rechten basierende und auf Zusammenhalt bedachte Gesellschaft in Europa zu bekräftigen. Gerade in einem Jahr, in dem der muslimisch-jüdische Dialog in Frage gestellt wurde, ist das anhaltende Engagement der jungen Menschen, einander im Rahmen des Botschafter-Programms zuzuhören, ein starkes Symbol der Hoffnung.
Im Hinblick auf die aktuelle Situation sprach David während des Gesprächs von der Notwendigkeit, "Wege zu finden, um weiterhin respektvoll miteinander reden zu können, um eine gemeinsame Basis zu finden. Wir wollen, wie in unserem Fall in Italien, friedlich zusammenleben. Im Moment ist es besonders wichtig, die Stärke des Dialogs hervorzuheben."
Die Beiträge von Amina und David wurden von den unterstützenden Stimmen zweier religiöser Führer des Muslim-Jewish Leadership Council (MJLC) begleitet, die im Rahmen des Botschafterprogramms als Mentoren fungieren. Imam Yahya Pallavicini und Oberrabbiner Michael Schudrich betonten die Notwendigkeit des generationsübergreifenden Zuhörens.
Die MJLC-Botschafterinnen und -Botschafter brachten frischen Wind in die oft nüchternen Diskussionen über den Schutz der Menschenrechte im euro-atlantischen und eurasischen Raum, insbesondere in diesen Zeiten sich überschneidender Krisen. Ihre Geschichte ist ein Zeugnis für die Macht der Jugend, den Dialog neu zu gestalten, Gräben zu überbrücken und eine neue Geschichte der Einheit und des Verständnisses inmitten globaler Herausforderungen zu entwickeln - eine Verkörperung der Grundsätze der UN-Agenda für Jugend, Frieden und Sicherheit.