Als Amina Khalids Familie aus Somalia floh, erzählten ihr ihre Eltern nicht, wohin sie unterwegs waren und wie lange sie weg sein würden.
„Sie sagten mir und meinen Geschwistern, wir würden in den Urlaub fahren“, so Khalid. „Wir alle dachten, dass wir nach Hause zurückkehren würden.“
Das war jedoch nicht der Fall. Im Alter von 13 Jahren mussten Khalid und ihre Familie wegen des Bürgerkriegs aus Somalia fliehen. Mit nichts weiter als den Kleidern auf dem Leib kamen sie schließlich im Vereinigten Königreich an.
Khalid berichtet: „Ich wurde Zeuge der verheerenden Auswirkungen von Krieg und Konflikten; ich sah, wie Familien getrennt wurden, wie Bombenangriffe die Häuser in Schutt und Asche legten. Mädchen wurden entführt und vergewaltigt, Häuser geplündert.“
„In jungen Jahren wusste ich mehr über Krieg als über Frieden“, erzählt sie, „ich war verstört und traumatisiert.“
Khalid träumte von einer Gesellschaft, in der Frieden herrschen würde, und studierte deshalb Medizinsoziologie und Sozialpolitik. Anschließend erwarb sie einen Master-Abschluss in Gleichstellungs- und Diversitätspolitik. Nach einer Ausbildung in Dialogvermittlung, Mediation, Kommunikation und Konfliktlösung arbeitet Khalid seit dem Jahr 2008 für die gemeinnützige Organisation „Initiativen des Wandels“ im Vereinigten Königreich (Initiatives of Change UK). Sie ist auch die Gründerin von „Frieden beginnt zu Hause“, einem Trainingsprogramm für den Dialog zwischen verschiedenen Generationen. So sollen Brücken zwischen den Generationen und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern gebaut und gestärkt werden.
Als Vertreterin von „Initiativen des Wandels“ ist Amina Khalid Mitglied des von KAICIID unterstützten Netzwerks für Dialog, einer paneuropäischen Plattform für religiöse und säkulare Organisationen, Fachleute und Wissenschaftler, die im Bereich Migration und Religionswissenschaften arbeiten. Sie ist ein Beispiel dafür, wie die Mitglieder des Netzwerks den Dialog nutzen, um effektivere Lösungen für die soziale Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen in Europa zu entwickeln.
Aleksandra Djurić Milovanović, Projektmanagerin des Netzwerks für Dialog und Forschungsbeauftragte am Institut für Balkanstudien, sagt, Khalid sei immer motiviert gewesen, andere Mitglieder zu unterstützen und ihre wertvollen Dialog-Erfahrungen mit ihnen zu teilen.
„Für das Netzwerk ist es von großer Bedeutung, Menschen zu haben, die nicht nur verstehen, was Dialog bedeutet, sondern die den Dialog auch in ihrem täglichen Leben praktizieren. Amina ist ein solches Beispiel“, so Djurić. „Sie hat ihre Arbeit und ihr Leben der Verständigung, dem Lernen über andere und der Unterstützung des interreligiösen und interkulturellen Dialogs gewidmet.“
Diese Fähigkeiten und das Feingefühl hat sie aus ihren eigenen Erfahrungen heraus entwickelt. „Als junge britische nicht-weiße Muslimin mit Migrationshintergrund war es nicht immer einfach, ein gesundes Gleichgewicht zwischen der westlichen Kultur und meinen eigenen traditionellen Normen und Werten zu finden“, berichtet sie. Dieser schwierige Prozess wurde durch den Hass und die Ungerechtigkeit, die sie als in Europa aufgewachsener Flüchtling erlebte, noch weiter verkompliziert.
Khalid entdeckte jedoch, dass sie nicht die Einzige war. Andere Migrantinnen und Migranten machten ähnliche Erfahrungen mit der tiefen Spaltung, der Uneinigkeit, dem fehlenden Dialog, dem mangelnden Vertrauen und der fehlenden Zusammenarbeit zwischen Flüchtlingsfamilien und Aufnahmegemeinschaften.
„Ich kam nach Europa und traf auf andere Mitglieder der Diaspora-Gemeinschaft traf, die ihre Länder aufgrund von Bürgerkriegen oder des Klimawandels verlassen hatten. Ich merkte, dass ihre Geschichten den meinen ähnelten“, sagt sie.
Sie erlebte, wie andere tagtäglich negative Erfahrungen machten, und fühlte sich berufen, mit Hilfe von positiven Beispielen gegen Stereotypen über Flüchtlinge und Migranten vorzugehen. „Ich wollte neue Wege finden, um Angst in Freundschaft zu verwandeln, und meine persönlichen Erfahrungen nutzen, um durch Dialog für Gerechtigkeit und Menschenrechte zu kämpfen“, betont sie.
Aus dem Wunsch heraus, Räume zu schaffen, in denen konstruktiver Dialog stattfinden kann, gründete Khalid im Jahr 2010 „Frieden beginnt zu Hause“. Ursprünglich für somalische Eltern und Kinder gedacht, die mit der Integration in die britische Gesellschaft zu kämpfen haben, half „Frieden beginnt zu Hause“ den Familien, Wege zu finden, um heikle Themen konstruktiv zu besprechen, bei denen es zuvor keinen Austausch gab.
Khalid zufolge haben Migrantengemeinschaften im Vereinigten Königreich damit zu kämpfen, dass die erste Generation oft erwartet, nach Hause zurückzukehren, und andere kulturelle Vorstellungen hat als ihre Kinder, die im jeweiligen Aufnahmeland aufgewachsen sind. Bleibt dieser Konflikt ungelöst, kann er zu Unverständnis, Ängsten und Ressentiments führen, nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch gegenüber der Aufnahmegesellschaft, so Khalid.
Unter der Schirmherrschaft von „Somalische Initiativen für Dialog und Demokratie“ (SIDD), der Dachorganisation von „Initiativen des Wandels“, bietet „Frieden beginnt zu Hause“ Workshops an, die Dialog zwischen den Generationen ermöglichen und Brücken zwischen den Familien, politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und anderen lokalen Akteurinnen und Akteuren bauen. Neben der Spaltung von Gemeinschaften und Konflikten zwischen den Generationen wurden in den Workshops auch religiöse und ideologische Gräben, islamischer Extremismus und die Gefahren der politischen extremen Rechten thematisiert.
Seit der Pilotphase mit der somalischen Diaspora in London wurde das Dialogtraining auf Gemeinschaften in der Türkei, Bangladesch, Malaysia, Syrien und Irland ausgeweitet. Mittlerweile wurden über 1.000 Workshops im Vereinigten Königreich, der Schweiz, Schweden, Portugal, Spanien und Deutschland durchgeführt.
Mit der finanziellen Unterstützung von KAICIID hat sich Khalid mit einem anderen Mitglied des Netzwerks für Dialog – Amanda Figueras von der spanischen Organisation Foro Abraham – zusammengetan, um interkulturelle Dialogprogramme in London und Madrid durchzuführen.
Laut Djurić sahen die beiden Mitglieder des Netzwerks die Möglichkeit, dass jüdische, muslimische und andere Gruppen zusammenkommen können, um dem Extremismus in ihren jeweiligen Gegenden zu begegnen. Der jeweilige Hintergrund war zwar unterschiedlich, doch Figueras und Khalid sahen, dass die Konflikte, mit denen diese Gemeinschaften konfrontiert waren, ähnlich waren.
„Diese Art der gegenseitigen Bereicherung ermöglichte es beiden Gemeinschaften, voneinander zu lernen“, sagt Khalid. „Die internationalen Verbindungen verbesserten die Arbeit im Inneren der betroffenen Gruppen.“
„Wir haben gelernt, dass Generationenkonflikte nicht auf eine bestimmte Gemeinschaft beschränkt sind“, erklärt Khalid. „Da die Welt immer komplexer und die Kluft zwischen den Generationen immer größer wird, brauchen wir einen ganzheitlicheren Ansatz, um unsere zerrissenen Nationen wieder zusammenzuführen.“
„Diese Workshops können genutzt und aufgegriffen werden, um einen sicheren Raum für Dialog, Akzeptanz und Solidarität zu schaffen, einen Mechanismus, der uns auf Grundlage unserer Mitmenschlichkeit vereint“, sagt sie.
Für Khalid ist es wichtig, dass ihre Arbeit nie ihren lokalen Schwerpunkt verliert und sich auf die persönliche Transformation konzentriert. Ihre eigene Geschichte hat ihr den Sinn ihrer Arbeit verdeutlicht, und sie ist nach wie vor der Meinung, dass persönliche Veränderungen für das Gedeihen des interreligiösen, interkulturellen und generationenübergreifenden Dialogs unerlässlich sind.
„Wir leben in wirklich dunklen Zeiten“, sagt sie, „aber ich erinnere mich daran, dass meine Leidenschaft für Dialog und Konfliktlösung aus einem tiefen Schmerz heraus entstanden ist. Wie der große Dichter Rumi einst sagte, ist die Wunde der Ort, an dem das Licht in dich eindringt.“
Khalid: „Die Arbeit des Netzwerks für Dialog und der „Initiativen des Wandels“ ermöglicht es, dass das Licht eindringt und den Menschen einen tieferen Sinn gibt, der es ihnen ermöglicht, an sich selbst, in ihrer Gemeinschaft und in der ganzen Welt zu arbeiten.“