Am dritten und letzten Tag des Europäischen Forums für politischen Dialog in Lissabon forderten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer angesichts der zunehmenden Hassrede und der Aufstachelung zu Gewalt in Europa strengere Regulierungsmaßnahmen, bessere Bildung und mehr Schutz für Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten.
Das jährliche Forum fand vom 19. bis 21. Oktober in Lissabon statt. Zum Abschluss wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgefordert, sich mit der zunehmenden Bedrohung durch Hassrede und Diskriminierung auseinanderzusetzen. Diese hochrangige Veranstaltung wurde vom Internationalen Dialogzentrum (KAICIID) in Partnerschaft mit dem Europäischen Rat der Religionsführer / Religions for Peace Europe (ECRL/RfP Europe) und mit Unterstützung des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der OSZE organisiert.
In seiner letzten Rede in der Funktion als KAICIID-Generalsekretär bekräftigte Faisal bin Muaammar sein unermüdliches Bemühen Hassrede zu bekämpfen. Das war ein Markenzeichen seiner neunjährigen Tätigkeit im interreligiösen Dialog und gipfelte im Jahr 2019 in der Konferenz „Die Macht der Worte“ in Wien.
„Hassrede kommt in den unterschiedlichsten Formen und Ausdrucksweisen vor. Sie erniedrigt, verunglimpft und schürt Hass gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen. Wie wir alle in den letzten zehn Jahren beobachten konnten, hat die Verbreitung von Hassrede in vielen Teilen der Welt zugenommen und ihre Regulierung stellt viele Länder vor ein Rätsel“, mahnte bin Muaammar.
Seit dem Beginn der Pandemie hat Hassrede gegen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten sowie religiöse Minderheiten erheblich zugenommen. Jüngste Studien konnten belegen, dass sowohl Islamophobie als auch Antisemitismus auf dem Vormarsch sind. Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten wurden als Überträger des Virus verunglimpft und mancherorts wurde ihnen der Zugang zu medizinischer Behandlung verweigert.
Laut Dr. Maria Marouda, Vorsitzende der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), gehen viele Fälle der Hassrede von Politikerinnen und Politikern oder Beamtinnen und Beamten, oft auf höchster Regierungsebene, aus. Sie stellen sich gegen „Migranten, Roma, Muslime, Juden, Schwarze und LGBTI-Personen. Manchmal spielen sie eine zentrale Rolle dabei, Minderheiten, Migrantinnen und Migranten negativ darzustellen und sie zum Sündenbock für gesellschaftliche Probleme zu machen.“
Margaritis Schinas, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für die Förderung der europäischen Lebensweise, räumte ein, dass Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten leider oft von autoritären Regierungen instrumentalisiert werden. „Ihr Leid wird als Waffe benutzt, um unsere Gemeinschaft zu spalten und unsere europäische Lebensweise zu untergraben. Sie werden an unsere Grenzen gedrängt, um politischen Druck auszuüben.“
Da die sozialen Medien grausame und extremistische Botschaften verstärkt haben, ist Hassrede zu einer unangenehmen Grauzone im internationalen Recht geworden. Viele Regierungen haben Probleme damit, den Begriff zu definieren und Hass strafrechtlich zu verfolgen, aber gleichzeitig das Recht auf freie Meinungsäußerung zu wahren.
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Obwohl es viele Definitionen von Hassrede gibt, verweist Thomas Wipf, Präsident des Europäischen Interreligiösen Rates religiöser Führer – Religions for Peace Europe, auf die UN-Definition, die „Hassrede aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Geschlecht und anderen Identitätsfaktoren wie der Religion“ benennt.
Bevor es jedoch um politische Empfehlungen ging, forderte Wipf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Forums auf, „zuerst einen Blick in den Spiegel zu werfen. Die Religionen stehen in Wirklichkeit oft in einer Art Wettbewerb zueinander. Die Sorge um die eigene Glaubensrichtung und die Instrumentalisierung der Religion für politische oder nationalistische Interessen machen es dringend notwendig, dass wir uns immer wieder bewusst machen, wie wir über andere sprechen und uns fragen, wie wir über Menschen und Traditionen sprechen, die nicht die unseren sind.“
Laut Nedzad Grabus, Mufti der Islamischen Gemeinschaft in Slowenien, können interreligiöse Bündnisse und Organisationen religiösen Führerinnen und Führern dabei helfen, gemeinsam gegen Bedrohungen vorzugehen und eine Bestandsaufnahme der problematischen Vorurteile und Wahrnehmungen in ihren eigenen Gemeinschaften vorzunehmen.
Grabus gehört mehreren dieser Organisationen an und ist Co-Vorsitzender des von KAICIID unterstützten Muslim-Jewish Leadership Council. Dieser Rat arbeitet bei Themen wie Islamophobie, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa zusammen und berät auch EU-Gremien in Fragen der Gesetzgebung, die sich direkt auf jüdische und muslimische religiöse und traditionelle Praktiken auswirken, wie z. B. Kleidung, Beschneidung und Schächtungen.
„Durch unser Engagement in den vergangenen Jahren haben wir gelernt, wie wichtig es ist, einander zuzuhören und etwas über die Erfahrungen der anderen zu erfahren. Und wie wichtig es ist, gemeinsam gegen Hassrede und die verschiedenen Arten von Phobien vorzugehen, die Minderheitengruppen betreffen“, so Grabus. „Wir glauben, dass es wichtig ist, sinnvollen Dialog mit denjenigen zu führen, mit denen wir nicht einverstanden sind. Zusammenarbeit ist der einzige Weg, um friedliche Lösungen für unsere Streitigkeiten zu finden.“
Augusto Santos Silva, portugiesischer Außenminister, sprach darüber, wie die Wertschätzung der religiösen Vielfalt in seinem Land habe dazu beigetragen habe, „den Respekt vor der Vielfalt und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren und Frieden und Sicherheit zu fördern“.
„Portugal hat eine multireligiöse Gesellschaft. Der größte Teil unserer Bevölkerung ist katholisch, aber es gibt auch Protestanten, Orthodoxe, Juden, Muslime und andere Religionen sowie Nichtgläubige und Agnostiker“, so Santos Silva.
„Unserer Ansicht nach bereichert der Pluralismus die Gesellschaften. Das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit ist ein grundlegendes Verfassungsrecht in Portugal. Alle Religionen sind vor unserem Gesetz gleichermaßen anerkannt.“
Laut Kishan Manocha, Leiter der Abteilung für Toleranz und Nichtdiskriminierung im OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR), sind religiöse Führerinnen und Führer, da sie oft in Kontakt mit gefährdeten und marginalisierten Gemeinschaften stehen, in einer guten Position, um sich mit Hassrede und den globalen Herausforderungen, die davon ausgelöst werden, auseinanderzusetzen.
„Das BDIMR ist zu der Erkenntnis gelangt, dass religiöse Akteurinnen und Akteure sowie glaubensbasierte Organisationen unter den richtigen Bedingungen, die ihre sinnvolle Beteiligung an der Gesellschaft ermöglichen, einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der vielfältigen, miteinander verknüpften Herausforderungen unserer Zeit leisten können, seien sie sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer oder humanitärer Art. Ihr Beitrag kann in der Tat von weltpolitischer Bedeutung sein“, sagte Manocha.
Die politischen Diskussionen wurden im Laufe des Nachmittags in Arbeitsgruppen fortgesetzt. Dabei ging es um die Eindämmung von Hassrede im Internet; den Schutz von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten, die während der COVID-19 besonders verunglimpft wurden; sektorübergreifende Partnerschaften zwischen religiösen Führerinnen und Führern und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern zur Bekämpfung von Hassrede; stärkere Bürgerbeteiligung und integrative Entscheidungsfindung.
Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz und Mitglied des Muslim Jewish Leadership Council, empfahl, Hassrede im Internet dringend durch strengere Gesetze zu bekämpfen.
„Soziale Medien destabilisieren unsere Demokratien, unsere Systeme und verstärken Hassrede. Wir müssen Verantwortung, Kontrolle und Regulierung einfordern“, mahnte er.
Weitere Empfehlungen betrafen die Sensibilisierung für Hassrede, die Beratung von Medienunternehmen, die Förderung der religiösen Bildung und die Stärkung effektiver Partnerschaften auf lokaler Ebene zwischen religiösen Führerinnen und Führern und politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern.