Interreligiöser und konfessionsübergreifender Dialog muss fester Bestandteil des Lebens nach Konflikten sein, darin war sich eine Gruppe von KAICIID Fellows-Alumni bei einer Online-Sitzung am vergangenen Mittwoch einig.
Barbara Walshe, Vorstandsvorsitzende des Glencree Centre für Frieden und Versöhnung in Irland, moderierte das virtuelle Treffen. Die Anwesenden hörten, dass trotz gegensätzlicher Meinungen Kompromisse geschlossen werden müssen, um Frieden in einer gespaltenen Gesellschaft zu erreichen.
„Wir müssen die Menschen von den Rändern der Gesellschaft zusammenbringen, damit sie verstehen, welchen Schaden sie einander zufügen. Auf diese Weise können wir Verständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern schaffen, die andere nicht als menschlich betrachten“ so Walshe.
Das Glencree Centre wurde auf dem Höhepunkt der Unruhen in Irland gegründet. Bittere sektiererische und ethno-nationalistische Konflikte beherrschten vier Jahrzehnte lang Nordirland. Mehr als 3.500 Menschen verloren ihr Leben bei den Unruhen, als irische – meist katholische – Republikaner und Ulster-Loyalisten, meist protestantisch, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewaltsame Konflikte austrugen.
Während dieser turbulenten Zeit hatten die Mitglieder der beiden Gemeinschaften fast nie Kontakt. Walshe, die katholischer Abstammung ist, erzählte, dass sie bis zu ihrem 30. Lebensjahr nie einen Menschen außerhalb ihrer Religionszugehörigkeit getroffen hatte.
Glencree diente als sicherer, neutraler Ort der Begegnung für beide Gruppen – in der Hoffnung, die gesellschaftliche Kluft inmitten des Blutvergießens zu überbrücken. Heute, zwanzig Jahre nach dem Ende der gewaltsamen Phase des Nordirlandkonflikts durch das Karfreitagsabkommen, geht diese Arbeit weiter. Menschen jeglicher Herkunft kommen zusammen, um zu reden, zuzuhören und Kontakte zu knüpfen.
Während der virtuellen Konferenz diskutierte Walshe mit den Alumni des Fellows-Programms, wie Lehren und bewährte Praktiken aus der Arbeit des Glencree Centre in ihre individuellen Kontexte übertragen werden können. Viele der Fellows kommen aus Ländern, die selbst von zivilen und ethnischen Konflikten gezeichnet sind. Während des Programms werden die Fellows darin geschult, in Konfliktsituationen Dialog, Lösungen und Frieden zu fördern.
„Voreingenommenheit und Vorurteile bleiben oft unreflektiert. Sie sind wie ein verborgenes Gefühl, das jede und jeder von uns spürt. Aber wenn man mit anderen in Dialog tritt, wenn man zuhört, wenn man gastfreundlich ist, bietet das die Möglichkeit, die anderen wieder als Menschen zu betrachten“, weiß Walshe.
Die Alumni berichteten von ihren eigenen Erfahrungen in der Friedensarbeit und tauschten sich über die Werte aus, die sie für eine effektive Versöhnung als entscheidend erachten. Aktives Zuhören, Toleranz, Respekt, Resilienz, Geduld und Hoffnung standen dabei ganz oben auf der Liste.
Jeder dieser Werte ist wichtig, um eine gemeinsame Basis zu finden - auch wenn Herausforderungen bleiben, besonders wenn Abneigung verinnerlicht wurde.
„Es gibt einen Teil der menschlichen Psychologie, einen ursprünglichen und stammesbedingten Teil, der die Menschen auseinanderhalten kann. Das ist die größte Herausforderung, die ich erkannt habe“, erklärt Swami Athmadas Yami, Leiter des multireligiösen "Samanwaya Giri" (Hügel der Integration). Yami kommt aus Indien, wo Gewalt und Hassrede gegen religiöse Minderheiten dramatisch zugenommen haben. Die Coronavirus-Pandemie trägt eine Mitschuld, dass bestehende Brüche in der Gesellschaft verschlimmert wurden und zu Ausschluss, Stereotypisierung und Stigmatisierung von religiösen und anderen Minderheiten beigetragen hat.
Der Umgang mit tiefsitzendem Misstrauen ist schwierig, aber mit konsequentem interreligiösem Dialog kann es überwunden werden, waren sich die Alumni einig.
Lernen, einander zu vertrauen
„Eine der Strategien, die wir anwenden, ist es, religiöse Führerinnen und Führer dazu zu bringen, Freundschaften aufzubauen. So sehen die Gläubigen, dass religiöse Persönlichkeiten einander vertrauen und beginnen auch einander zu vertrauen“, erzählt Justina Ngwobia, eine Friedensbotschafterin in Nigeria.
Ngwobia und andere Fellows aus Nigeria arbeiten an der Förderung des interreligiösen Dialogs während die Terrororganisation Boko Haram Attacken verübt. Dabei wurden bisher 36.000 Menschen getötet und über 2 Millionen vertrieben. Es ist ein langwieriger Konflikt um Landrechte und Ressourcen, der zu tiefen Spaltungen entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien geführt hat.
Ngwobia meint, dass Nigeria viele Lehren aus Walshes Arbeit ziehen kann, besonders im Hinblick auf die Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Die Friedensbemühungen im Land haben sich in letzter Zeit darauf konzentriert, ehemalige Kämpfer von Boko Haram wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Aufgabe ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. „Es ist sehr schwierig für die Gemeinden, sie wieder aufzunehmen.“
Dennoch habe die Online-Konferenz sie hoffnungsvoll gemacht, dass Friedensstifterinnen und Friedensstifter in Nigeria Mentalitäten verändern und Herzen öffnen können, meint sie. „In Nordirland sind sie damit aufgewachsen, einander zu hassen. Ihre Eltern lehrten sie zu hassen. Das geschieht auch in unserer eigenen Umgebung. Wir versuchen, den heranwachsenden jungen Menschen und auch den Familien beizubringen, wie man andere lieben kann.“
Ngwobia, Yami und die weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihr einjähriges Fellows-Programm bereits abgeschlossen. Doch das Dialogzentrum bietet ihnen weiterhin Ressourcen und Unterstützung an - wie die Sitzung über Nordirland vergangen Mittwoch.
Laut Kyfork Aghobjian, Manager des Fellows-Programms, ist es besonders wichtig, Fellows den Zugang zu neuen Konzepten und Perspektiven aus dem Bereich der Friedensförderung und Konfliktlösung zu ermöglichen. Das ermöglicht es den KAICIID Fellows-Alumni, die Arbeit in den Gemeinschaften ihrer Heimatländer voranzutreiben.
„Bildung ist ein endloser Prozess. Es gibt immer die Möglichkeit, mehr zu lernen, mehr Wissen zu erlangen und mehr Erfahrungen zu sammeln. Darüber hinaus glauben wir, dass wir durch diese Lernmöglichkeiten die Nachhaltigkeit des Programms sicherstellen. Wir brechen die Beziehungen zu unseren Fellows nicht ab, sobald sie ihren Abschluss gemacht haben“, so Aghobjian.
Zusätzlich zu den regelmäßigen Austausch- und Lernmöglichkeiten bietet das Dialogzentrum den Fellows-Alumni ein Stipendium zur „Fortbildung und professionellen Entwicklung“ an. Dieses gibt den erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerbern die Möglichkeit, ihr Wissen durch auf sie ausgerichtete Förderkurse und hochrangige Konferenzen zu erweitern. „Wir wollen den Fellows-Alumni die Möglichkeit geben, sich beruflich weiterzuentwickeln und ihren Weg im interreligiösen Dialog über die Arbeit des Zentrums hinaus fortzusetzen. Friedliche Gesellschaften werden von vielen Händen und in vielen kleinen Schritten aufgebaut“, so Marlen Rabl, Programm-Managerin, die mit Fellows-Alumni arbeitet.
Die Online-Sitzung über intrareligiösen Konflikt in Nordirland und Walshes Sichtweise auf die Friedenskonsolidierung nach einem Konflikt inspirierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und regten zum Nachdenken an. „Die Sitzung hat mir eine neue Perspektive auf dieses wichtige Thema eröffnet“, meint Kenu Agarwal, eine soziale, religiöse und politische Aktivistin, die das Fellows-Programm im Jahr 2019 absolvierte. „In Indien brauchen wir mehr Friedensförderung nach Konflikten, um den betroffenen Gemeinden; den Menschen, die Gewalt erlebt haben; und ihren Kindern, die Geschichten über diese Gewalt hören, zu helfen.“
Agarwal fügt hinzu, dass die Online-Sitzung sie daran erinnert hat, dass Friedensförderung ein kontinuierlicher Prozess ist, der Hingabe und langfristige Ziele erfordert. „Wir müssen geduldig und hingebungsvoll über Monate, Jahre und Jahrzehnte auf persönlicher und institutioneller Ebene arbeiten, um dauerhaften Frieden zu schaffen.“
Zum Abschluss des Treffens bat Walshe die Fellows-Alumni im Rahmen einer Gedankenübung mitzuteilen, „wofür sie stehen“. Die häufigsten Antworten erschienen als Wortwolke auf den Bildschirmen. Fortschritt, Toleranz, Teilen, Verständnis und Liebe waren die meistgenannten Antworten. Walshes Schlussworte dazu: „Gegen all das, gegen euch alle, hat die Welt der Gewalt keine Chance.“