Im Webinar zum Start des neuen KAICIID-Projekts „Faith4SDGs“ forderten Fachleute die internationale Gemeinschaft auf, das umfangreiche Netzwerk von Glaubensgemeinschaften voll in die Arbeit zur Erreichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis zum Jahr 2030 einzubinden.
Das Webinar mit dem Titel „Glaube für nachhaltige Entwicklung: Fürsorge für Menschheit und Planet“ fand am 22. Oktober statt. Es bildete den Auftakt zu mehreren Veranstaltungen, darunter ein virtuelles Filmfestival, das das Bewusstsein für die Arbeit glaubensbasierter Organisationen zur Umsetzung der globalen Ziele schärfen soll. Das Projekt wurde zur Feier des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen ins Leben gerufen.
Zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gehörten Faisal bin Muaammar, Generalsekretär von KAICIID; Dr. Iyad Abumoghli, Direktor der UNEP-Initiative "Glaube für die Erde"; Dr. Bandar Hajjar, Präsident der Islamischen Entwicklungsbank-Gruppe; Yvonne Helle, Sonderbeauftragte für das Hilfsprogramm des UN-Entwicklungsprogramms für das palästinensische Volk; Generalsekretärin von Religions for Peace, und Esther Lehmann-Sow, Globale Direktorin für Glaube und Entwicklung bei World Vision International.
Förderung der Entwicklungsagenda
Gemeinschaften sind aufgrund von COVID-19 mit enormen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen konfrontiert. Bin Muaammar ermutigte säkulare Institutionen, dafür zu sorgen, dass Glaubensgemeinschaften voll in die Umsetzung der SDGs integriert werden.
„Die Macht und der Einfluss religiöser Akteurinnen und Akteure machen sie zu einer einzigartigen Kraft für das Gute in der Welt“, meinte bin Muaammar in seinem Eröffnungsstatement. „KAICIID ist der Ansicht, dass interreligiöser Dialog und die Einbeziehung religiöser Persönlichkeiten eine fundamentale Rolle bei der Förderung der Entwicklungsagenda spielen.“
Während der Diskussion verwiesen die Anwesenden auf die Erfahrung von Glaubensgemeinschaften bei der grenzüberschreitenden Arbeit für Bildung sowie Notfall- und Gesundheitsversorgung.
Laut Karam ist es kein neuer Vorschlag, religiöse Organisationen in die humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung einzubeziehen. Viele Stellen der Vereinten Nationen tun dies seit Jahrzehnten aufgrund der starken Legitimität, die religiöse Führerinnen und Führer innerhalb lokaler Gemeinschaften genießen.
„Einige von uns scheinen zu denken, dass wir etwas Neues entdecken. Das ist ein wenig gefährlich, denn religiöse Akteurinnen und Akteure sind eigentlich die ältesten politischen, sozialen, finanziellen, kulturellen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgerinnen und -träger, die die Geschichte kennt“, so Karam.
„Wir haben es mit den ursprünglichen Gemeinschaften unserer Existenz zu tun. Religiöse Führer waren die ersten Präsidenten und Premierminister und Programmverantwortlichen. Sie werden noch lange nach unseren Institutionen existieren.“
Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung identifizieren sich mit einem Glauben. Lehmann-Sow daher hervor, wie diese vorteilhafte Position der religiösen Organisationen die Entwicklungsbemühungen ankurbeln könnte. „Glaubensführerinnen und -führer kennen die Probleme und die Schwächsten der Gemeinschaften.“
Religiöse Organisationen sind tief verwurzelt
Religion ist oft eine „Lebensader“ für Menschen, insbesondere in Katastrophen- und Konfliktgebieten, fügte Helle hinzu.
„Religiöse Organisationen sind tief verwurzelt. Wir können Menschen nicht so erreichen wie es Religionsgemeinschaften können. Es ist ein enormer Gewinn für alle, wenn religiöse Organisationen und säkulare NGOs kooperieren, um wirklich an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Ich denke, es ist äußerst angebracht, diese Diskussion zum 75. Jahrestag der Vereinten Nationen zu führen“, so Lehmann-Sow.
Religiöser Einfluss ist wichtig, um den Erfolg der SDGs zu sichern. Religiöse Führerinnen und Führer können auf einen Teil des Wertesystems zurückgreifen, dem Milliarden Menschen folgen. „Wenn wir an die SDGs denken, müssen wir anerkennen, dass es viel mehr als Investitionen in Infrastruktur oder Dienstleistungen gibt“, erklärt Lehmann-Sow. „Es findet tatsächlich ein Wandel der Mentalität und der Verhaltensweisen statt. Manchmal ist er zwischen den Zeilen zu erkennen oder kommt als Teil der SDGs zum Ausdruck.“
Laut Abumoghli sind verstärktes Engagement und veränderte Denkweisen mehr denn je erforderlich, da wir uns in einer globalen Krise befinden und bei der Mehrzahl der SDG zu langsam vorankommen. Weniger als ein Viertel der 93 umweltbezogenen SDG-Indikatoren sind auf dem richtigen Weg, während mehr als zwei Drittel nicht über genügend Messdaten verfügen, um ihre Fortschritte überhaupt beurteilen zu können.
„Das gesamte Spektrum der Nichtregierungsorganisationen ist nicht ausreichend einbezogen worden. Religiöse Akteurinnen und Akteure wurden nicht in die globalen Bemühungen zur Erreichung der SDGs einbezogen, obwohl sie schon so lange daran arbeiten“, kritisiert Abumoghli.
Abumogli erklärte Statistiken der UNEP-Initiative "Glaube für die Erde" mit und wies auf die enormen Ressourcen hin, die religiösen Organisationen zur Verfügung stehen. Ressourcen, die den Entwicklungsbemühungen wirtschaftliche Schlagkraft verleihen würden. Glaubensorganisationen besitzen acht Prozent des bewohnbaren Landes auf der Erde, bewirtschaften fünf Prozent der Nutzwälder (in einigen Ländern, wie Österreich, mehr als 28 Prozent), betreiben 50 Prozent der Schulen und besitzen mehr Fernseh- und Radiosender als in ganz Europa insgesamt.
Die Umwelt verschlechtert sich zusehends. Abumoghli glaubt, dass Partnerschaften zwischen Religion und säkularen Organisationen vielversprechend sind. „Das Ziel ist es, die wissenschaftlichen Beweise, die die Vereinten Nationen liefern, mit den spirituellen Lehren und den heiligen Schriften der Religionen zu verbinden. So sollen alle Involvierten zusammenarbeiten, um aktiv zu werden und Umweltprobleme zu lösen.“
Menschenrechte als zentrales Thema
Karam sprach auch über eine Herausforderung, mit der die internationale Gemeinschaft beim Engagement mehrerer Interessengruppen konfrontiert ist. Das ist der Umgang mit unterschiedlichen Überzeugungen und Wertesystemen. Diese Herausforderung könne gemeistert werden, indem man sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als zentrales Thema fokussiert.
„Es müssen die Menschenrechte sein. Wir weichen nicht davon ab, um bestimmten religiösen Positionen und Institutionen entgegenzukommen. Das wäre etwas heikel und problematisch“, so Karam. „Wir müssen die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit als Priorität betrachten. Wenn wir mit religiösen Akteurinnen und Akteuren zusammenarbeiten, sind wir der Meinung, dass sie sich an die gemeinsame Agenda zu halten haben, so wie jeder andere auch.“
Hadschar erklärte, dass seine Organisation, die Islamische Entwicklungsbank, im Rahmen ihres Ansatzes für Finanzdienstleistungen und Entwicklungshilfe hart an der Institutionalisierung der Agenda gearbeitet habe. „Das islamische Finanzmodell basiert auf den Prinzipien der Nachhaltigkeit, Fairness und Gleichheit. Es berücksichtigt bei allen Entscheidungen soziale, ökologische und Regierungs-Faktoren.“
Helle wies auf einen weiteren Grundwert hin, dem sich ihrer Meinung nach Multi-Stakeholder-Partnerschaften verschreiben müssen: Demut und das Bewusstsein, dass sowohl säkulare als auch religiöse Institutionen einander brauchen, um die Agenda 2030 zu erreichen.
„Keiner von uns darf so arrogant sein, zu sagen, dass wir die Lösung für das Problem sind“, so Helle. „Wir brauchen diese Demut, um zu erkennen, dass es nur eine Erde gibt und eine gemeinsame Zukunft für uns alle.“